Na, da kommt mal wieder Bewegung in den Schlänger Bürgermeisterwahlkampf. Mit einem Facebook-Beitrag, der zwischen Satire, düsterer Finanzprognose und einem radikalen Lösungsvorschlag arbeitet, hat unser parteiunabhängiger Kandidat Dr. Ralf Köster einen neuen Vorstoß gewagt. 

Zunächst eine gescheite Sache, denn der Beitrag hat alles, was ein Beitrag dieser Form benötigt. Zahlen, eine Botschaft und einen Lösungsvorschlag. Naja. Im Groben.

Die Botschaft von Köster im Beitrag ist klar: Der Gemeinde Schlangen geht es miserabel, die etablierte Politik führt in die Sackgasse, und nur er hat den Mut für einen Befreiungsschlag. Konkret in diesem Fall: eine drastische Senkung der Gewerbesteuer.

Die Tonalität ist bewusst provokant/polemisch, der Lösungsansatz klingt verlockend einfach. Doch was steckt wirklich hinter den Zahlen und dem als „robustes Konzept“ angepriesenen Plan? Zeit für einen kleinen Check, der die Thesen des Kandidaten kritisch unter die Lupe nimmt. Sowohl in der Diagnose als auch in der vorgeschlagenen Lösung.

Die Diagnose: Panikmache oder berechtigte Sorge?

Köster zeichnet ein düsteres Bild der Gemeindefinanzen. 

  • Die „exorbitant hohe“ Zuwendungsquote: Köster prangert an, dass Schlangen mit einer Quote von fast 40 % „vom Hand aufhalten“ lebe.

    Richtig ist, dass eine unterdurchschnittliche eigene Steuerkraft zwangsläufig zu höheren Zuweisungen führt. Das ist jedoch kein lokales Versäumnis, sondern die systemische Logik des kommunalen Finanzausgleichs in Deutschland, der für gleichwertige Lebensverhältnisse sorgen soll. Dies als Versagen darzustellen, ist eine rhetorische Zuspitzung, die den strukturellen Kontext ausblendet.

    Auch der Vergleich mit „doppelt so hoch, wie der Schnitt der NRW-Kommunen“ ist ein Vergleich von Äpfeln und Birnen. Hier kann man nicht den Schnitt wählen (der für mich auch nicht recherchierbar war und Köster keine Quellen nennt), oder eine  x-beliebige Kommune zum Vergleich heranziehen, ohne eine wirkliche Vergleichbarkeit zur Lage, Region, Bevölkerungsdichte, Gewerbebetriebe und den Bewohnenden (und vielen Faktoren mehr) etc. zu ziehen.
  • Unterdurchschnittliche Einnahmen und überdurchschnittliche Soziallasten: Hier trifft Köster einen Punkt. Ein Einkommensteueranteil von nur 85 % des NRW-Schnitts und Sozialausgaben, die deutlich über dem Durchschnitt liegen, sind zwei Seiten derselben Medaille. Sie belegen eine sozioökonomische Struktur, die den Haushalt von zwei Seiten unter Druck setzt. Auch die schwachen Gewerbesteuererträge sind eine reale, strukturelle Herausforderung, die durch die Konzentration auf wenige große Betriebe verschärft wird.

Heißt für mich: Dr. Köster benennt reale strukturelle Probleme. Seine Wortwahl („unerbittlich“, „mieses Niveau“, „Sackgasse“) dient jedoch dazu, eine akute Krisenstimmung zu erzeugen, die nach radikalen Lösungen schreit. Die Lage ist herausfordernd, aber die Darstellung ist für den maximalen politischen Effekt dramatisiert.

Der Lösungsvorschlag: Warum die Monheim-Medizin für Schlangen pures Gift wäre

Das Herzstück von Kösters Plan ist die Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes von 442 % auf 364 %, um Schlangen in diesem Punkt zur attraktivsten Gemeinde der Region zu machen. Als Vorbild für diese Strategie dient unverkennbar die Stadt Monheim am Rhein. Doch genau dieser Vergleich entlarvt auch die enormen Risiken des Vorschlags.

Das „Modell Monheim“, eine radikale Senkung des Hebesatzes auf 250 %, führte zunächst zu sprudelnden Einnahmen durch die Ansiedlung großer Konzerne. Die Stadt wurde schuldenfrei und finanzierte populäre Projekte wie kostenlose Kitas. Doch die Kehrseite dieses Booms ist ein brutaler Absturz.

  • Die Volatilitäts-Falle: Monheims Haushalt wurde extrem abhängig vom Schicksal weniger Großunternehmen. Als diese in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten, brachen die Gewerbesteuereinnahmen dramatisch ein. Von über 300 Mio. Euro (2020) auf prognostizierte 120 Mio. Euro (2025).
  • Der Schulden-Bumerang: Die einst schuldenfreie Stadt hat mittlerweile einen Schuldenberg von über einer Milliarde Euro angehäuft und weist für 2025 ein Haushaltsdefizit von 86 Mio. Euro aus.
    Sie gehört nun zu den am höchsten verschuldeten Kommunen pro Kopf in NRW.
  • Die Finanzausgleichs-Bremse: Was oft übersehen wird: Ein Großteil der Mehreinnahmen fließt über Umlagen direkt wieder ab. Monheim musste in der Spitze bis zu 78 % seiner Gewerbesteuereinnahmen an Kreis und Land weiterreichen. Der Nettoeffekt für die Stadtkasse ist also weitaus geringer als erhofft.

Das angebliche Erfolgsmodell Monheim hat sich als hochriskantes Spiel entpuppt, das in einen gefährlichen Boom-Bust-Zyklus mündete. Für eine Gemeinde wie Schlangen, mit einer deutlich kleineren und weniger diversifizierten Wirtschaftsstruktur, wäre die Nachahmung dieses Experiments ein unkalkulierbares, potenziell existenzielles Risiko.  Von den realistischen Möglichkeiten wie Platzangeboten und Infrastruktur mal abgesehen.

Der Denkfehler: Was „mutige Entrepreneure“ wirklich anlockt

Kösters Vorschlag reduziert und impliziert die komplexe Standortentscheidung von Unternehmen auf einen einzigen Faktor: den Steuersatz. Die moderne Standortforschung zeichnet jedoch ein völlig anderes Bild. Insbesondere für die von ihm anvisierten „Startups“ und innovativen Gründer sind andere Kriterien oft entscheidender:

  • Harte Faktoren: Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften, eine leistungsfähige digitale Infrastruktur (Stichwort: Glasfaser) und eine gute Verkehrsanbindung, zum Beispiel.
  • Weiche Faktoren: Die Lebensqualität für Mitarbeitende und ihre Familien, also gute Schulen, Kultur- und Freizeitangebote, ein attraktiver Ortskern und ein positives soziales Umfeld.

Gerade im Wettbewerb um knappe Fachkräfte werden diese weichen Faktoren immer wichtiger. Auch wenn wir hier in der Gemeinde Schlangen sicher einiges davon anbieten können.

Innovative Start-ups, die in den ersten Jahren oft keine Gewinne machen, sind für den Gewerbesteuersatz kaum empfänglich. Eine aggressive Steuersenkung lockt eher kostensensible Holdinggesellschaften oder Logistikzentren an, die zwar Steuern zahlen, aber oft nur wenige hochwertige Arbeitsplätze schaffen. Briefkastenfirmen freuen sich ebenfalls über Steueroasen mitten in Deutschland.

Von der Steuerpflicht zur Spenden-Lotterie? Ein fiskalpolitischer Offenbarungseid

Der für mich wohl abenteuerlichste Teil des Konzepts ist die Idee, die ausfallenden Steuereinnahmen durch freiwillige „Zuwendungen an die Bürgerstiftung und Vereine“ zu kompensieren. Dieser Vorschlag ist nicht nur naiv, er ist aus meiner Sicht finanzpolitisch grob fahrlässig.

Er ersetzt eine gesetzlich verankerte, planbare und rechtlich durchsetzbare Einnahmequelle (Steuern) durch eine vollkommen freiwillige, unvorhersehbare und unzuverlässige Variable (Spenden). Unternehmensspenden (CSR) sind per Definition freiwillige Leistungen, die oft von Marketingzielen geleitet werden und jederzeit gekürzt oder eingestellt werden können.

Öffentliche Aufgaben auf der Basis von Almosen und Spenden finanzieren zu wollen, ist meiner Meinung nach keine ernsthafte Strategie, sondern ein rhetorischer Trick, um die offensichtlichen Risiken des eigenen Plans zu verschleiern.

Mehr als nur „Think Differently“

Köster wagt ein Gedankenexperiment. Das ist grundsätzlich nicht falsch und sicher müssen immer wieder neue Wege angedacht werden. Seine Diagnose der strukturellen Schwächen hat einen wahren Kern.

Seine vorgeschlagene Lösung erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch als ein hochriskantes Roulette-Spiel, das auf dem gescheiterten Modell Monheim basiert und die finanzielle Stabilität von Schlangen langfristig gefährden könnte. Von interkommunaler Zusammenarbeit ganz abgesehen, denn Freunde machen wir uns mit einer solchen Lösung sicher auch in direkter Nachbarschaft nicht.

Der Slogan „Think differently“ von Apple, den Dr. Köster zitiert, stand für Innovation, die auf tiefem technischem Verständnis und Nutzerorientierung beruhte, nicht auf einer simplen Preissenkung. 

Eine wirklich robuste Zukunftsstrategie für Schlangen liegt meines Erachtens nicht im Steuerdumping, sondern in der nachhaltigen Stärkung der echten Standortfaktoren: Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Lebensqualität, gepaart mit intelligenter interkommunaler Zusammenarbeit.

Das ist vielleicht weniger spektakulär als eine radikale Steuersenkung, aber es ist der solidere Weg in eine prosperierende Zukunft.

Und keine Frage: Das muss finanziert werden und neue Ideen für Einnahmen und zur Reduktion der Ausgaben müssen her. Die hier ist es nicht. Für mich zumindest nicht.

p.S.: Die Kommunikation übrigens auch nicht. Die ständige Überspitzung und der Versuch der Satire wirken auf mich polemisch, streckenweise populistisch, und sind absolut nicht das, was seriöse Kommunalpolitik meiner Meinung nach in Schlangen benötigt.

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