Dienstag, 27.08.2019 – 5:45 Uhr … ich liege schon seit Ewigkeiten wach und kann einfach nicht schlafen. Die Ruhe, wenig Auslastung, ungewohnte Geräusche in der Nacht und auch die Bewegung des Schiffes vor Anker … irgendwie war ich heute Nacht immer wieder wach. Nicht schlimm, so stehe ich auf und beginne meinen Tag mit einem Kaffee an Deck. Alleine. Einzig Ayla, Deckhand an Bord, ist auf den Beinen. Sie hat heute Ankerwache. Von Mitternacht bis um 06.00 Uhr und so endet ihre Nachtschicht und der wohl verdiente Schlaf ruft auch sie in die Koje.
Wir liegen noch vor Anker am Loch Eriboll. Der nette Strand, den wir aus einigen Metern Entfernung sehen können, läd zu einem Besuch ein. Nicht nur die Surfer die hier campen und auf die richtigen Wellen warten. Einige der Mitsegler möchten an den Strand und so gibt Kapitän Pit gestern grünes Licht für das Ablassen des Dinghy, dem Schlauchboot an Bord der Eye of the Wind. Gut eingepackt und gegen Spritzwasser geschützt gehen ein paar von uns (ich nicht) auf das Dinghy und starten in Richtung Strand…. und kehren nach wenigen Metern um. Durch die leichten Wellen und das Gewicht der Menschen im Schlauchboot füllt es sich dann doch zu schnell mit Wasser und die Passagiere sitzen nach wenigen Sekunden Knöcheltief im Wasser. Ein kurzer Ausflug und im Video festgehalten (ich sobald ich mehr und stabileres Netz habe, lade ich das Video hoch – vielen Dank, Norbert für das Video).
Der Abend an Bord ist danach entspannt. Lesen, schreiben, die Kulisse genießen und plaudern.
Beachtlich und über den Tag die ganze Zeit beobachtet, ist das ständige Treiben der Crew an Bord der Eye of the Wind. Die internationale Mannschaft hat ständig etwas zu tun. Hier wird sauber gemacht, das Deck abgeflitscht, Messing poliert, Holz geschliffen und neu lackiert, Leinen gepflegt und viele andere Dinge. Ein fleissiges Gewusel zur Erhaltung des Schiffes. Bewundernswert. Fleissig.
In der Zeit die wir haben, schreibe ich meine versprochenen Postkarten. Ob sie ihren Weg zu den Empfängern noch vor meiner Rückkehr nach Deutschland finden? Ich weiß es nicht. Die Chancen dafür stehen nicht so gut, denn hier auf dem Meer und ohne Postkasten schaffe ich es vielleicht nicht vor Stornaway oder sogar Glasgow sie auf den Weg zu bringen. Wir werden sehen. Geschrieben sind sie, einwerfen werde ich sie dann wohl auch noch innerhalb Schottlands 🙂
Insgesamt ist die bisherige Tour auf dem Meer eine ganz andere, völlig entgegen gesetzte Erfahrung zu meinen bisherigen Reisen in Schottland. Ich lerne das Land von der andern Seite kennen – vom Meer aus. Während ich bislang immer nur darauf aus war, möglichst viel von der Landschaft, Kultur, Geschichte und dem Land „einzuatmen“, lerne ich hier die Ruhe zu genießen und mich auch einfach mal, ohne ständig auf der Suche nach neuen, interessanten Dingen, treiben zu lassen. Sehr cool. Neu für mich, aber cool.
Während ich die Morgenruhe mit einem Kaffee lesend und schreibe verbringe, wacht auch das restliche Schiff auf. Das Frühstück gibt es um 08:00 Uhr Ortszeit. Reichlich und mit Liebe von Esme, der Köchin an Board gezaubert. Wie alles was sie macht. Die Mahlzeiten sich reichhaltig, abwechslungsreich und durchweg lecker. Frühstück um 08:00, Mittag um 12:00, Kaffee und Kuchen um 16:00 Uhr und schließlich um 19:00 Uhr Abendessen. Pünktlich, wenn Chef Esme die Glocke läutet.
Heute haben wir nur eine recht kurze Strecke vor. 35 Meilen. Das Ziel ist Loch Inchard, genauer der Hafen von Kinlochbervie. So legen wir gemütlich gegen 09:00 Uhr ab und machen uns auf den Weg. Die Fahrt wird ein bisschen schaukeliger als die vergangenen Fahrten, aber Wind für Segel ist nach wie vor nicht. Neben ein paar Delfinen, Robben und einem „etwas“ mit Heckflosse, was ich nicht genau zuordnen kann, ein paar hohen Wellen und ein bisschen Regen passiert heute nicht viel. Genug Zeit also um ein wenig zu schreiben, zu lesen und mich meinem Hörbuch zu widmen. Ich schlafe sogar eine halbe Stunde über Tag. Seit Ewigkeiten nicht mehr machen können.
Die Einfahrt in den kleinen Hafen von Kinlochbervie läuft problemlos, trotz der leichten Enge für ein Schiff wie dieses, die Crew hat es perfekt im Griff. Die Eye of the Wind ist in jedem Hafen ein Hingucker, eine Attraktion und so stehen auch in Kinlochbervie bereits einige Menschen im Hafen und schauen. Beobachten die Einfahrt, das Anlegen. Teilweise kommen Autos mit Familien extra angefahren und bestaunen das Schiff, machen Fotos und unterhalten sich mit der Crew. Sie ist auch ein wahrer Hingucker und Schiffe dieser Art sind selten geworden. Ein Lob auf den Eigentümer und alle Beteiligten, dass sie diesen Erhaltungswillen und die Leidenschaft weiter mit den Menschen teilen. Bravo.
In dem Ort selbst ist nicht viel los. Ein kleiner Laden bietet das Nötigste zum Einkauf, ein Pub und die Möglichkeit zum Erkunden der Landschaft rund um den Anfang des Lochs Inchard. Ich setze mich an den Hafen, telefoniere mit zu Hause und erfreue mich der Ruhe.
Herrlich. Ich kann verstehen, dass die Crew gerne mit diesem Schiff die Meere bereist. Ich fühle mich frei. Wie muss es erst sein, wenn man mehrere Monate diese Gelegenheit hat?